Die noblen Gewächse des Bordeaux

Spielball der Spekulanten

Nach einer Flaute Anfang der 90er Jahre, als schwache Jahrgänge die Preise  purzeln ließen und selbst berühmte Marken in Supermärkten verramscht wurden, boomt das Geschäft mit rotem Bordeaux wieder. Einer der Hauptgründe für die Preisexplosion im vergangenen Jahr lag an einer künstlichen Verknappung durch die Weinbarone an der Gironde. Wieder einmal lobten sie den neuen Jahrgang in den Weinhimmel und mancher Proprietaire apostrophierte ihn voreilig als besten Jahrgang seit 1982, dem vielleicht letzten wirklichen Jahrhundertjahrgang. Wenn es um die Vermarktung des neuen Jahrgangs geht, haben die Winzer ein ganz erstaunlich kurzes Gedächtnis: Kaum einer redet mehr vom  hervorragenden Jahrgang 86, so gut wie vergessen sind der opulente 89er und der hochelegante 90er.  Das liegt vor allem daran, daß für Bordelaiser Schloßbesitzer “bon“ die allermindeste vorstellbare Weinqualität ist: “In  zehn Jahren haben wir drei gute, drei sehr gute, zwei großartige und zwei fabelhafte Jahrgänge!“, brachte es einmal Léon Thienpont, der frühere Besitzer von Vieux Château Certan, augenzwinkernd auf den Punkt.

Gewiß ist der Jahrgang 1996 im Médoc-Gebiet, wo unter anderem die berühmten Rothschild-Güter Lafite und Mouton liegen, durchweg wohlgeraten. Die Oenologische Fakultät der Universität von Bordeaux spricht in ihrem Jahresbericht denn auch von einem besonderen Erfolg der Cabernets. Seriöserweise kann man im Médoc vom besten Jahrgang seit 1990 sprechen. Andererseits läßt Christian Moueix, Eigner der Pomerol-Ikone Château Pétrus und wohlreputierter Weinhändler in Libourne, solche  Lobeshymnen für das rechte Gironde-Ufer nicht zu, wo die Merlot-Traube dominiert: “Wer behauptet, die Weine seien auch nur annähernd so gut wie 1995, der lügt“. Als einer der wenigen Besitzer senkte Moueix die Preise für seine Gewächse sogar um rund fünf Prozent, wofür ihn mancher Kollege am liebsten in Cabernet Sauvignon ertränkt hätte. Schließlich galten Preissteigerungen zwischen 15 und 25 Prozent in Bordeaux so gut wie abgemacht. Daraufhin behaupteten viele Konkurrenten – zu unrecht, übrigens – die 96er Weine von Moueix taugten nichts.

Der Weinverkauf in Bordeaux läuft seit Jahrzehnten in ganz eigentümlichen Bahnen. Die großen Châteaux bieten den jeweiligen Jahrgang im folgenden Frühjahr “en primeur“ an. Das bedeutet, die Weine werden vom Faß verkostet und noch vor der Abfüllung im nächsten Jahr bezahlt. Bedient wird grundsätzlich nur der ortsansässige Handel, der sogenannte Negoce de Bordeaux. Diese Geschäfte werden von Weinmaklern kanalisiert: Je besser die  Kontakte des Courtiers zum jeweiligen Château sind, um so größere Tranchen werden ihm zugeteilt. Bis der deutsche Importeur sich beim Bordelaiser Handel versorgen kann, Direkteinkäufe im Château sind meist ausgeschlossen, haben sich also mindestens drei Marktteilnehmer die Hände gewaschen: Das Château, der Makler und der Negociant. Entsprechend hat sich der Einstandspreis erhöht. Um das Preisrisiko in Grenzen zu halten, sind auch die deutschen Weinimporteure in den letzten 15 Jahren dazu übergegangen, ihren Kunden den noch im Faß reifenden Weine  “en primeur“ anzubieten:  Im Idealfall hat sich der Wert der Weine bis zum Bezug deutlich gesteigert. Eine Rechnung, die im letzten Jahrzehnt in sieben von zehn Jahren tatsächlich auch aufging.

Diesem Geschäft kommt sehr gelegen, daß sich viele Wein-Spezialzeitschriften darin überbieten, die ersten Verkostungsnotizen des neuen Jahrgangs zu publizieren.  Es wird ncht mehr lange dauern, bis die Geschmackseindrücke online wiedergeben werden, nach dem Motto: Kaum verkostet, schon im Internet.

Die Bordelaiser Winzer fördern diese Entwicklung nach Kräften: Anfang April lädt die Union des Grands Crus de Bordeaux die wichtigsten Weinpublizisten aus der ganzen Welt zur Verkostung der Faßmuster nach Bordeaux ein. Schon Wochen vorher lassen sich die Redakteure des amerikanischen Magazins The Wine Spectator und der bekannteste US-Vorkoster, Robert Parker,  hunderte von Fassproben in einem Hotel und bei Weinmaklern auftischen. Vor allem Parkers Einfluss, der seine Notizen im selbstverlegten Newsletter “The Wine Advocate“ publiziert, darf als gewaltig gelten. Die Werbewirksamkeit geht so weit, daß manche deutschen Weinhändler seine Bewertungen  in den Primeur-Offerten, quasi als Mass aller Dinge, gleich mitliefern. Parker-Fans ordern denn auch grundsätzlich nur Weine, die der Meister mit mindestens 90 von 100 Punkten bewertet. Doch hat auch Parker mit seinen Bewertungen von Jungweinen schon gründlich danebengelegen, wie das Beispiel Mouton-Rothschild belegt. Die 85er und 86er Weine hatte er anfangs mit Bestnoten belegt, sie später jedoch deutlich gesenkt. Das spricht nicht unbedingt gegen Parker, irren ist menschlich, es belegt aber, wie riskant es sein kann, Einkaufsentscheidungen auf Probenotizen im jungfräulichen Stadium zu stützen. Es provoziert auch die Frage, wie repräsentativ das jeweilige Fassmuster tatsächlich war. Die Versuchung, sich durch eine geschönte “Laborprobe“ einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, muß man als latent gegeben betrachten. Schließlich wird der Wein erst ein Jahr später ausgeliefert und womöglich erst Jahre danach getrunken. Wer kann das schon nachhalten? Ob sich der betreffende Winzer in unserer kommunikationsträchtigen Zeit damit längerfristig einen Gefallen erweist, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt.

Vom Jahrgang 1996 teilten die Châteaux ihren Kunden zunächst weitaus kleinere Mengen zu als im Vorjahr, was zu einer künstlichen Verknappung führte. Die Weinbarone hatten herausgefunden, daß diese Taktik zu spontanen Preissteigerungen am Marktplatz Bordeaux führen kann:  Die beiden erstrangigen Châteaux Margaux und Latour boten die erste 96er Tranche im Gleichschritt mit 300 Francs an, gaben das zweite Kontigent mit 450 Francs frei und  verdoppelten wenige Tage später den Ausgangspreis auf glatt 600 Francs. Besonders keck war der Inhaber von Château Léoville-Las-Cases, ein besonders Ggeschätztes, in der Bordeaux-Hierarchie von 1855 an sich nur zweitrangiges Gut in Saint Julien. Michel Delon verlangte für den von Robert Parker über den grünen Klee gelobten 96er erstmals mehr Geld als die höher klassifizierten Nachbargüter in Pauillac und Margaux.

Senkrechtstarter der vorjährigen Kampagne war ein bislang gänzlich unbedeutender Cru aus Saint Emilion: Stephan Graf von Neipperg, Deszendent einer schwäbischen Winzerdynastie, schraubte seinen 96er La Mondotte von 180 über 350 auf unglaubliche 600 Francs nach oben. Auch hier hatte Robert Parker wieder Schützenhilfe geleistet, der den Wein mit 95 bis 97 Punkten bewertete. Gegenstand besonders heikler Spekulationen sind Gewächse wie Valandraud und Le Pin, von denen es jeweils nur wenige Tausend Flaschen gibt. Le Pin war mit einem Ausgabepreis von 900 Francs (Vorjahr 360 FF) der allerteuerste von allen 96ern. Seitdem die Weine dieses gerade einmal zwei Hektar kleinen Pomerol-Gutes 1995 einen großen Vergleichstest mit dem berühmten Nachbarn Pétrus um Längen gewannen, steigen die Preise ins Unermeßliche. Der rare 82er wurde bei Auktionen schon mit 4.000 Mark pro Flasche zugeschlagen.

Weil die Spekulation allzu bunte Blüten trieb, hat sich in Deutschland inzwischen manch altrenommierter Weinhändler aus dem Weinroulette  des Primeur-Geschäftes verabschiedet.  Bei den verbliebenen Anbietern potenzierte sich prompt die Nachfrage. Christian Leve vom Kölner Weinhandelshaus  FUB wundert sich, daß nun sogar viele private Käufer das Spekulieren anfangen. Möglicherweise wolle auch manch einer sein Schwarzgeld waschen, bevor es offiziell in Euro umgetauscht wird. Viele Händler verkauften ihre Kontingente mit einer minimalen Marge zügig aus, um bei einem Crash nicht zu den Verlierern zu zählen. Den prophezeihten Skeptiker bereits für den durchweg guten Jahrgang 1995. Gekommen ist es umgekehrt: Wer sich nicht früh entscheiden konnte, zahlte 1997 bei bestimmten Weinen genau das Doppelte als  ein Jahr zuvor.

Auch der Schweizer Weinhändler Max Gerstl (Cave Bordelaise)  hatte anfangs wegen der Preise ein “ungutes Gefühl“, jedoch waren selbst kleine 96er Gewächse innerhalb kurzer Zeit restlos ausverkauft: “Das gab es nie!“

Es bleibt abzuwarten, wie sich die aktuelle Finanzkrise in den Tigerstaaten, die verstärkt als Käufer von edlem Bordeaux auftraten, auf das Preisgefüge auswirken wird. Bislang gingen zwar nur gut 7 Prozent des Bordeaux-Exportes auf dem direkten Weg  nach Hongkong, Singapur, Tailand und Taiwan, jedoch dürfte die tatsächlich nach Fernost gelieferte Menge um einiges darüber liegen, weil London und die Schweiz traditionelle Umschlagplätze für den internationalen Weinhandel sind.

Apropos, London: Seitdem die renommierten Auktionshäuser Christie´s und Sotheby´s das Karussell der Primeurweine noch zusätzlich in Schwung bringen – manche 95er wurden dort im vergangenen Jahr 300 Prozent über den Ausgabepreisen gehandelt – fürchten besonnene Marketingstrategen, daß der Bogen wieder einmal überspannt werden könnte, wie schon Anfang der 70er und Ende der 80er Jahre.

Zumal der Jahrgang 1996 mit 5,43 Millionen Hektoliter Rotwein eine der reichhaltigsten Ernten in der Geschichte des Bordelais erbrachte . Es wurde ungefähr 20 Prozent mehr eingebracht als 1986, was damals der absolute Mengenrekord war.

Jedoch wirkte sich die große Menge keineswegs preisdämpfend aus, im Gegenteil. Die steigenden Preise treffen aber beileibe nicht alle Kunden gleich hart. Seit der Primeurkampagne des Jahrgangs 1995 war der US-Dollar gegenüber dem Franc um 12 Prozent, das englische Pfund sogar um 15 Prozent im Wert gestiegen.Während Amerikaner und Engländer also nur zu marginal erhöhten Preisen einkauften und sich reichlich bedienten, waren die Deutschen von den Preisanhebungen besonders betroffen, weil sich die schwächelnde Mark gegenüber dem Franc praktisch nicht verändert hat.

Deutschland war im vergangenen Jahr mit 4,17 Millionen Kisten zwar wichtigstes Importland für Bordeauxweine insgesamt, doch lag der Flaschendurchschnittspreis nur bei etwa 16 Francs. Vergleicht man hingegen den Wert der Weine, die nach Taiwan (67 Francs) und nach Singapur (79 Francs) geliefert wurden, kann nur die Schlußfolgerung sein, daß die feinsten Weine mehr und mehr nach Ostasien wandern.

Erstveröffentlichung Handelsblatt 2001