Weingärten so teuer wie Bauland in Manhattan
Unter Liebhabern großer Burgunder kreist ein Standard-Spruch: „Ich sterbe, wenn ich diesen Wein nicht zu trinken kriege, und ich gehe bankrott, wenn ich ihn trinke.“
Die Karriere eines Rotwein-Freundes beginnt meist damit, daß er dem weicheren, gefälligeren Burgunder größere Reize entlocken kann als dem in seiner Jugend sich herb und unnahbar gebärdenden Bordeaux. Über eines sind sich viele Weinkenner gleichwohl einig: Wer reichlich Bordeaux getrunken hat, wird früher oder später reuemütig zu den feinduftigen und eleganten Rotweinen der Bourgogne zurückkehren – sofern es das Portemonnaie zuläßt. In guten Jahren gedeiht die Spätburgunder-Traube (Pinot noir) in Burgund zu einer Vollkommenheit wie nirgendwo sonst auf der Welt. Launisch wie eine Diva reagiert sie jedoch auf Standortunterschiede: In Gevrey-Chambertin schmecken die Weine eher komplex und tiefgründig, in Nuits-Saint-Georges besitzen sie oft einen herzhaft-rauchigen Duft und in Volnay präsentieren sie sich finessenreich und zart. Nur Anfänger fallen herein auf Bezeichnungen wie Hautes-Côtes-de-Nuits (oder de-Beaune). Deren Rebgärten liegen meist nicht am berühmten „Goldenen Hang“, sondern im kühleren Hinterland weiter westlich. Diese Weine werden oft überteuert angeboten.
Ende der 30er Jahre wurden die Weinberge Burgunds offiziell klassifiziert. Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen wußte man, welche Lagen im Frühjahr am meisten frostgefährdet, im Sommer von Hagel bedroht und im Herbst von Fäulnis befallen sind. An der Spitze stehen rund 30 Super-Weinberge, die Grands Crus, die in stolzer Einfachheit nur Chambertin, Musigny oder Corton heißen. Dahiner rangieren die Premier Crus, deren Prädikat stets mit einer Gemeinde genannt wird. Schließlich die sogenannte Dorflagen, bei denen nur der jeweilige Weinort, etwa Chambolle-Musigny oder Pommard erwähnt ist. Die einfacheren Weine werden unter der schlichten Bezeichnung Bourgogne verkauft. Die Anbaufläche Burgunds umfaßt heute rund 8.000 Hektar.
Die Weinberge bilden einen nahezu ununterbrochenen Streifen, der sich beginnend südlich von Dijon südwärts über Beaune bis Santenay entlang den Hügeln der sogenannten Côte d´Or erstreckt. Das nördlich von Beaune gelegene Teilgebiet heißt Côte de Nuits, der südliche Teil Côte de Beaune, zu dem auch die Weinberge des anmutigen Städtchens selbst zählen.
Angesichts seines früheren Ruhms und Reichtums wirkt das ehemalige Fürstentum Burgund heute ausgesprochen schlicht und ländlich. der umfangreiche Großgrundbesitz der Kirche wurde zu Napoleons Zeiten aufgeteilt, und das französische Erbrecht führte schließlich dazu, daß es zu kleinsten Parzellierungen kam. So teilen sich über 70 Winzer die rund 60 Hektar umfassende Fläche des berühmten Clos Vougeot. Dort kostet aber auch ein Rebgärtlein soviel wie Bauland in Manhattan, wenn es denn überhaupt einmal zum Verkauf kommt.
Traditionell hatte der Winzer in Burgund die Aufgabe, den Weinberg zu bestellen und das Lesegut zu verarbeiten. Einer der Hauptgründe, weshalb die Winzer ihre Weine nicht selbst abfüllten, war schlicht pekuniärer Natur: Sie konnten sich die Kosten für neue Fässer, für die Abfüllung selbst und für die Lagerung der Flaschen nicht finanzieren. Die Vermarktung der Weine besorgten über Jahrhunderte hinweg die Weinhandelshäuser in beaune, sogenannte Négociants-Eleveurs. Namen wie Louis Latour, Joseph Drouhin und Louis Jadot, die alle auch nennenswerte Flächen eigener Weinberge besitzen, haben immer noch einen großen Klang. Vom großartigen Jahrgang 1969 wurde erst ein knappes Viertel der klassifizierten Weine in den Domänen abgefüllt. Zehn Jahre später war es bereits die Hälfte der Gesamternte. Heute füllen praktisch alle namhaften Betriebe, zunehmend aber auch weniger bekannte Winzer ihre gesamte Erzeugung im eigenen Betrieb ab.
Vorsicht ist geboten bei unbekannten Winzern, die marktschreierisch (Ici! Vente directe!“) selbstgefüllten Wein anbieten, weil sie die Spanne des Négociant selbst einstreichen wollen. Oft beherrschen diese Traubenbauern das Handwerk im Keller nicht und das in romantischem Ambiente verpröbelte, vermeintliche Schnäppchen verkostet sich zuhause als mäßiger Tropfen.
Lange galten die Rotweine der Bourgogne als überteuert. Ein Vorurteil, das insbesondere in den 80er Jahre weit verbreitet und in mancherlei Hinsicht auch berechtigt war. Etwa seit einem Jahrzehnt trennt sich nun eindeutiger Spreu vom Weizen: Eine neue Generation von Winzern sorgt für neuen Schwung. Leider war unter den ersten Jahrgängen nach dem fabelhaften Trio von 1988 bis 1990 kaum Erstklassiges zu finden. Allenfalls der Jahrgang 1993 verdiente Komplimente. Hingegen verkörpern die eleganten 96er Weine jene wunderbare Ausgewogenheit von Kraft und Eleganz, die nur den feinsten Burgunder eigen ist. Erfahrene Erzeuger vergleichen den 96er deshalb auch mit dem filigranen Jahrgang 1966. Zufriedenheit herrschte an der Côte d´Or obendrein, weil 1996 neben der Qualität auch die Erträge stimmten, die deutlich über denen des Vorjahres lagen, als viele seriös arbeitende Winzer nur wenig mehr als 30 Hektoliter je Hektar ernteten. Dieser äußerst geringe Ertrag führte dazu, daß viele Erzeuger die Zuteilungen an ihre Kunden noch reduzieren mußten. In Burgund gilt der ebenfalls recht gute Jahrgang 1995 deshalb heute als restlos ausverkauft. Ganz allgemein kann man sagen, daß die besten 95er über jeden Zweifel erhaben sind, viele kleinere Weine aber auch ein wenig dünn schmecken. Manche Erzeuger an der Côte de Beaune betrachten ihre 95er Weine als eine Art Vermählung der Jahrgänge 1990 und 1993, während etliche Winzer an der Côte de Nuits den 95er gar mit den exzellenten Jahrgängen wie 1988 und 1978 vergleicht.
Da der jüngste Jahrgang noch geringer ausfiel, ist es kaum verwunderlich, daß bei der traditionellen Versteigerung der jungen Weine im Hospice de Beaune die Preise für 97er Rotweine um beinahe 47 Prozent anstiegen. Das klingt zwar schwindelerrengend, doch nimmt sich das gemessen an den Turbulenzen des Bordelaiser Marktes geradezu bescheiden aus, zumal die Burgunder-Preise Anfang dieses Jahrzehnts noch gesunken waren.
Über eines muss sich der Weinfreund im Klaren sein: Burgunder ist nur gut, wenn Erzeuger, Lage und Jahrgang gut sind, teuer ist er freilich auch in minderen Jahren. Es gibt sehr ordentlichen Bordeaux für 25 Mark die Flasche, doch Burgunder unter 50 Mark zu kaufen, ist oftmals hinausgeworfenes Geld.
Auch gastronomisch hat die Bourgogne einiges zu bieten: Platzhirsch ist das Restaurant von Jacques Lameloise in Chagny mit drei Michelin-Sternen, Jean-Crotets idyllisch gelegene Hostellerie Levernois unweit von Beaune hat deren zwei. Noch höher schätzt die Konkurrenz von Gault-Millau das Restaurant Thibert in Dijon, dem es zu recht 18 von 20 möglichen Punkten zuerkennt. (Unbedingt probieren: In Olivenöl gebratene Jakobsmuscheln mit einem feinsäuerlichem Salat von grünem Apfel und Radieschen!) Besonders sympathisch ist das Gasthaus von Robert Losset in Flagey-Echezeaux, wo Fernfahrer am Tresen ihren Kaffee trinken und Einheimsche ihre Gäste mit veritabler Burgunderküche (Wachtelterrine, Schnecken-Feuilleté und Lammkeule mit Knoblauch-Crème) vertraut machen. Eine Einkehr lohnt sich aber auch in einfachen Landgasthöfen wie der Toute Petite Auberge in Vosne-Romanée und dem Chambolle-Musigny im gleichnamigen Weindorf oberhalb von Vougeot. Dort genießt man hausgemachte Spezialitäten wie Jambon Persillé und Boeuf Bourgignon und trinkt dazu einen schlichten Bourgogne, der nur selten enttäuscht, wenn er von einem namhaften Winzer wie René Leclerc aus Gevrey-Chambertin stammt. Apropos, Jambon: den besten Kräuterschinken in Aspik kauft man bei Maître Roger Batteault in seiner kleinen Metzgerei in der Fußgängerzone von Beaune (4, rue Monge): Sein Jambon Persillé wurde 1997 ebenso mit Gold prämiert wie seine fabelhafte Salami, die auf den hübschen Namen „Rosette“ hört.
Erstveröffentlichung Handelsblatt, 2001