Côte de Nuits, Burgund

Formidable Pinot Noirs

Niemand wird im Ernst bestreiten, dass die feinsten Pinot Noirs aus Burgund kommen. Insbesondere an der Côte de Nuits gedeiht der Spätburgunder zu einer Vollkommenheit, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Launisch wie eine Diva reagiert er jedoch auf Witterungsunterschiede. In sonnenreichen Jahren können die Weine opulent ausfallen und geradezu fruchtsüß schmecken, in kühlen und feuchten Jahren aber auch regelrecht dünn und säuerlich ausfallen. Auch der Standort spielt eine wichtige Rolle. Während die Weine in Gevrey-Chambertin tiefgründig und komplex schmecken, entfalten sie in Morey-Saint-Denis eine würzige Kraft und präsentieren sich in Chambolle-Musigny finessenreich und zart.

Château Clos de Vougeot

Es war an einem nebeligen Novembertag des Jahres 1982, als ich das erste Mal in leicht gebeugter Haltung die kleine Treppe zum kühlen Keller der Domaine Rousseau in Gevrey-Chambertin hinunterstieg, um die Weine vom Faß zu verkosten. Am Kellereingang drückte mir der Patron eine kleine Silberschale in die Hand: „Das ist ein Tastevin,“ erklärte mir Charles Rousseau in überraschend gutem Deutsch das ungewohnte Trinkgefäß, „damit probieren wir unsere Weine im Keller, weil man darin die Farbe gut erkennt!“ Mittels einer Glaspipette servierte mir Monsieur Rousseau mit gekonntem Schwung als ersten Wein den 1981er Gevrey-Chambertin. Mochte ja sein, dass das seltsame Schälchen gut für die Farberkennung ist, dachte ich für mich, aber was nutzt es, wenn man das Bukett des Weines nicht wirklich erschnüffeln kann und obendrein höllisch aufpassen muss, daß beim Probieren nicht die Hälfte des Rotweins auf der Jacke landet. Zehn Weine haben wir damals gemeinsam verkostet und einer schmeckte köstlicher als der andere. Heute gestehe ich kleinlaut ein, daß ich kaum nennenswerte Unterschiede ausmachen konnte zwischen dem Gevrey-Chambertin Village, dem Gevrey-Chambertin Premier Cru und dem Chambertin Grand Cru, was auch daran lag, dass ich sie bis dato vor allem aus der theoretischen Sicht der Weinliteratur kannte.

Für die meisten Zeitgenossen ist Burgund ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln. Während man sich in Bordeaux relativ schnell zurecht findet, weil der Wein immer auch so heißt wie das jeweilige Château, muss man sich in Burgund selbst in einer kleinen Domaine durch etliche Weine aus verschiedenen Lagen probieren, um den Stil des Winzers und die Güte des jeweiligen Jahrgangs zu ergründen. Das schreckt viele ab!

Nicht verständlicher wird das Gebiet durch die Tatsache, dass sich Burgund auf insgesamt fünf Unterregionen verteilt, die äußerst unterschiedliche Weine hervorbringen: Die größten Gegensätze bestehen zwischen dem nördlich gelegenen Chablis, wo einer der populärsten Weißweine Frankreichs wächst, und dem Beaujolais, ganz im Süden, das für seine fruchtigen Rotweine bekannt ist. Während die Côte Maconnaise und die Côte Chalonnaise weitaus weniger geläufig sind, ist die Côte d´Or fraglos das berühmte Herzstück Burgunds. Auf der Ostseite eines fünfundfünfzig Kilometer langen Höhenzugs reihen sich zwischen Dijon und Santenay die besten Weinberge wie die Perlen an einer Kette auf. Durch die natürliche Verwitterung von Jahrtausenden hat sich dort in den mittleren Hanglagen und vor allem am Hangfuß ein geröllartiger Boden aus Kalkstein und Ton gebildet, der ideale Voraussetzungen für die Erzeugung feinster Rot- und Weißweine bietet.

Weinberge an der Côte de Nuits

Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden die Weinberge der Côte d´Or offiziell klassifiziert. An der Spitze stehen seitdem wenige Toplagen, die so genannten Grands Crus, die in stolzer Einfachheit nur ihren Weinbergsnamen auf dem Etikett tragen, also Chambertin, Musigny oder Echezeaux. Darunter rangieren die Premiers Crus, deren Prädikat stets in Verbindung mit der jeweiligen Gemeinde genannt wird und den Namen einer Einzellage tragen kann. Bei den so genannten Dorflagen ist nur der Weinbauort erwähnt. Die vierte Kategorie bilden Weine, die lediglich den Namen des Anbaugebietes „Bourgogne“ auf dem Etikett tragen.

Heillose Verwirrung bis zum heutigen Tag stifteten die cleveren Bourguignons im vergangenen Jahrhundert als sie ihre Ortsbezeichnungen änderten, indem sie der Gemeinde den Namen des jeweils berühmtesten Weinbergs hinzugefügten: Aus Gevrey wurde Gevrey-Chambertin, Morey verwandelte sich in Morey-Saint-Denis und Chambolle mutierte zu Chambolle-Musigny. So glauben weniger aufgeklärte Weinnasen bis zum heutigen Tag beim Genuss eines gewiß anständigen Gevrey-Chambertins den berühmten Grand Cru Chambertin im Glas zu haben.

Bei aller Komplexität des burgundischen Lagensystems dient es dem allgemeinen Verständnis, dass für die Erzeugung von Weinen mit regionaler Herkunftsbezeichnung nur Pinot Noir und Chardonnay zugelassen sind, die allesamt trocken schmecken müssen. Zwei Ausnahmen auf der Ebene der preiswerteren Gebietsweine bilden der weiße Bourgogne Aligoté und der rote Passetoutgrains, ein Verschnitt aus Pinot Noir und Gamay.

Kein anderer Ort der Côte de Nuits verfügt über annähernd so viele Spitzenlagen wie Gevrey-Chambertin, wo allein acht der insgesamt dreiundzwanzig Grands-Crus beheimatet sind und 112 Hektar Rebland umfassen. Dort starte ich Anfang November meine kleine Rundreise durch die Region, um die Fassweine des Jahrgangs 2009 zu verkosten, dem auch in Burgund ein vorzüglicher Ruf vorauseilt. In der Domaine Rousseau kommt es zu einem freundlichen Wiedersehen mit dem rüstigen Seniorchef. Charles Rousseau, inzwischen siebenundachtzig Jahre alt, kommt immer noch jeden Tag in sein kleines Büro, gleich auf der rechten Seite des Hofes, um die Post zu öffnen und alte Bekannte zu begrüßen.

Charles Rousseau

Wir sprechen über meinen ersten Besuch vor achtundzwanzig Jahren und scherzen über den Tastevin. „Den verwendet in Burgund schon lange keiner mehr, obwohl er viel stabiler war als die leicht zerbrechlichen Gläser,“ sagt Rousseau augenzwinkernd. Sohn Eric arbeitet seit dreißig Jahren mit dem Vater und hat Mitte der 1990er Jahre die Leitung dieses legendären Weinguts übernommen und seitdem die Qualität der Weine nochmals deutlich verbessert. Neben den beiden Grands Crus Chambertin und Chambertin Clos de Bèze zählt Eric Rousseau den Premier Cru Gevrey-Chambertin Clos St. Jacques zu seinen liebsten Weinbergen. Nur für diese drei Weine erneuert er jährlich fast alle 228 Liter fassenden Eichenholzfässer, die man in Burgund Pièces nennt. Es ist immer wieder faszinierend zu erschmecken, wie gut sich Rousseaus Weine bereits in der Jugend präsentieren und dennoch ein phänomenales Reifepotenzial aufweisen. Auch die jungenlichen 2009er Weine bilden keine Ausnahme und zeigen sich in prächtiger Frühform im Stil zeitloser Klassiker. Schon der einfache Gevrey-Chambertin macht mit seinem rauchigen Bukett und intensivem Kirschduft viel Freude und der Clos des Ruchottes ist in diesem Jahr der feinste unter den vier „normalen“ Grands Crus des Gutes. Mein Favorit ist wieder einmal der Chambertin, der mit seiner cremigen Fruchtfülle dem etwas sublimeren Chambertin Clos de Bèze einen Hauch überlegen ist. Mit gut zwei Hektar Rebfläche zählt Rousseau zu den größten Besitzern im Chambertin. Seine insgesamt vier Parzellen befinden sich im südlichen Teil der Lage. Die Trauben werden komplett entrappt, jedoch gibt Rousseau schon mal zehn Prozent der Stiele zurück in den Gärbottich.

Obschon Morey-Saint-Denis immerhin fünf Grands Crus beheimatet, standen die Weine lange im Schatten der Kollegen aus den berühmteren Orten Gevrey-Chambertin und Chambolle-Musigny. Durchaus zu unrecht übrigens, denn die Weine aus Morey haben ihren ganz eigenen Stil. Zwei der Spitzenlagen, der Clos de Tart und der Clos des Lambrays, grenzen unmittelbar an die Ortsmitte des Dorfes. Der siebeneinhalb Hektar große Clos des Tart befindet sich im Alleinbesitz der in Macon ansässigen Familie Mommessin. Seit Mitte der 90-er Jahre ist Sylvain Pitiot für das Gut verantwortlich, was äußerst positive Auswirkungen auf die Qualität des Weines hatte. Nach umfassenden Investitionen in neue Kellertechnik zählt der komplett in neuen Pièces ausgebaute Clos de Tart oft zu den besten Weinen der gesamten Côte de Nuits. Aufgrund eines späteren Lesetermins und des damit verbundenen Reifevorsprungs ist er dem Wein seines direkten Nachbarn oft überlegen, was Saftigkeit und Fülle anbelangt.

Thierry Broin erläutert Weinberg

Nach wechselvollen Jahren mit verschiedenen Eigentümern kam die Domaine des Lambrays 1996 in den Besitz des Koblenzer Werbeunternehmers Günter Freund. Der investierte Unsummen in die Rekonstruktion von Weinbergen, Park und Gebäuden und verwandelte das zehneinhalb Hektar große Gut in ein Schmuckstück, wie man es in Burgund nur selten findet. Nun endlich konnte der bereits seit dreißig Jahren hier tätige Verwalter Thierry Broin das Weingut nach seinen Wünschen neu positionieren. Spätestens seit dem Jahrgang 2002 verdienen die Weine des knapp neun Hektar großen Clos des Lambrays auch qualitativ den Status eines Grand Crus, welcher der Lage erst 1991 zuerkannt wurde. Da einem Nachbarn lediglich 430 Quadratmeter des Weinbergs gehören, dessen jährlicher Ertrag nicht ein einziges Pièce füllt, kann man hier durchaus von einem Quasi-Monopol der Domaine des Lambrays sprechen. Der 2009er Clos verströmt ein feines Aroma von Brombeeren und Schwarzkirsche, weist eine seidige Fülle auf und ist markant im Abklang. Zur Vinifikation seiner Rotweine zählt, dass Thierry Broin die Trauben im Kelterhaus penibel sortieren läßt und sie dann ungemaischt tals Ganzes zwei bis drei Wochen in Edelstahltanks vergärt. Der fünfzehn monatige Ausbau der Jungweine erfolgt in Pièces, die jährlich etwa zur Hälfte erneuert werden. Neben verschwindend kleinen Flächen Morey Saint Denis Premier Cru Les Loups und Morey Village verdienen die beiden weißen Premiers Crus Folatières und Caillerets aus Puligny-Montrachet Erwähnung, die zusammen 6.600 Quadratmeter ausmachen und jährlich rund viertausend Flaschen ergeben.

Ein weiteres hoch angesehenes Weingut in Morey Saint Denis ist die erst 1968 gegründete Domaine Dujac. Der aus der Pariser Biskuit-Industrie stammende Jacques Seysses kaufte damals die viereinhalb Hektar große Domaine Graillet und gab ihr seinen verkürzten Namen: Domaine du Jac (ques). In vierzig Jahren vervierfachte Seysses die Größe seines Weingutes, wozu inzwischen auch insgesamt fünf Hektar in sieben verschiedenen Grands-Cru-Lagen in Morey Saint Denis, Gevrey-Chambertin und Vosne-Romanée zählen. Von Anfang an pflegte der Quereinsteiger einen eher moderneren Burgunderstil, bei dem das neue Eichenholzfass eine wichtige Rolle spielt. Die helle Farbe der Weine beruht auf der Tatsache, dass Seysses die Trauben kaum entrappt, sondern sie meist als Ganzes mit den Stielen vergärt. Das besagt aber keineswegs, dass es den Dujac-Weinen an Konzentration fehlt, ganz im Gegenteil! Gerade in schwächeren Jahrgängen weisen sie eine bewunderswerte seidige Fülle auf, wie man sie nur selten in Burgund findet. Seit einigen Jahren ist die nächste Generation hier voll in das Weingutsgeschehen eingebunden: Jeremy und dessen amerikanische Frau Diana sowie der jüngere Bruder Alec Seysses. Meine Frage, mit welchem früheren Jahrgang Alec 2009 vergleicht, beantwortet er spontan mit 1999, auch was die reichhaltige Erntemenge anbelange. Der ebenfalls hoch gelobte Jahrgang 2005 sei hingegen deutlich tanninbetonter ausgefallen. Meine beiden Jahrgangsfavoriten weisen unisono einen frappierenden Duft von Haselnußschokolade auf. Während der Clos Saint Denis eine zarte und elegante Frucht offenbart, klingt der saftigere Bonnes Mares deutlich länger nach.

Chambolle-Musigny verdankt seinen Namen dem Grand Cru Musigny, der im Wettbewerb mit dem Bonnes Mares den Ruf als Primus inter Pares der beiden Spitzenlagen des Dorfes genießt. Der Musigny ist im Übrigen der einzige Weinberg der gesamten Côte de Nuits, der neben Rotwein auch für Weißwein das Anrecht auf den Status eines Grand Cru besitzt. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn die Rede auf die historische Domaine Comte Georges de Vogüé kommt. Sie besitzt im Musigny sechseinhalb Hektar und damit drei Viertel der Gesamtfläche, wovon 6.600 Quadratmeter mit Chardonnay bepflanzt sind. Seitdem die Rebstöcke in den 90er Jahren neu gepflanzt wurden, verzichtet man hier darauf, den Wein als weißen Musigny Grand Cru anzubieten, weil die jungen Reben zu wenig konzentrierten Stoff erbringen. Stattdessen deklassiert man ihn freiwillig zu einem Bourgogne Chardonnay ab, was enorme finanzielle Einbußen zur Folge hat. Bei der Verkostung des wunderbar nach Lindenblüte und Birne duftenden 2009er Weißweins glaubte ich erstmals seit vielen Jahren Unenschlossenheit in den Erläuterungen des seit langem hier tätigen Oenologen Francois Millet auszumachen, ob er diesen überaus eleganten Wein erneut abstufen wird. Für mich hat dieser 2009er Weißwein definitiv die Klasse eines Musigny Grand Cru!

Kommen wir zu den Rotweinen des Gutes, die in der Domaine de Vogüé ohnehin die weitaus größere Rolle spielen. Neben dem Musigny gehören auch gut zweieinhalb Hektar im Bonnes Mares zum insgesamt zwölf Hektar zählenden Besitz. Während der zu Aphorismen neigende Francois Millet den Musigny als Patriarchen der Familie bezeichnet und den Chambolle-Musigny Premier Cru Les Amoureuses als dessen Frau, sei der Grand Cru Bonnes Mares lediglich der angeheiratete Onkel. Er begründet das damit, daß der Boden des nördlich von Chambolle gelegenen Bonnes Mares nur wenig mit dem Terroir der südlicheren Lagen des Gutes gemein habe. In der Tat duftet der 2009-er Bonnes Mares nach Schwarzkirsche und Pfingstrose, während der Musigny eher an Curry und Zimt erinnert. Im Geschmack erweisen sich beide jedoch als kongeniale Prachtexemplare eines großartigen Jahrgangs, den Millet mit einem leicht hintergründigen Lächeln am ehesten mit 2009 vergleicht…. Zur Vinifikation verrät der Oenologe immerhin, daß die roten Trauben komplett entrappt, aber nicht gemaischt werden und die Gärung sich nach einigen Tagen Kaltmazeration mittels Naturhefen in großen Holzbottichen vollzieht. Der Ausbau in Pièces, die maximal zu vierzig Prozent erneuert werden, dauert achtzehn Monate. Auch beim Rotwein macht man in der Domaine de Vogüé weitlich von der Möglichkeit der Abstufung Gebrauch: Die Weine von jungen Reben aus dem Musigny kommen ohne Lagenangabe als Chambolle-Musigny Premier Cru auf den Markt und die Moste aus den Premiers Crus Lagen Les Baudes und Les Fuées landen meist im Chambolle-Musigny Village.

Domaine Mugnier in Château de Chambolle-Musigny

In Chambolle-Musigny ist ein anderer Quereinsteiger des burgundischen Weinbaus zuhause. Nachdem Frédéric Mugnier viele Jahre als Ingenieur auf Ölbohrinseln tätig war, beschloss er 1985 sich mehr um das alte Familienweingut in Chambolle-Musigy zu kümmern. Er kam aber nicht so recht zum Zuge, weil die Weinberge des Gutes langfristig an das Weinhandelshaus Faiveley in Nuits Saint Georges verpachtet waren. Mugnier absolvierte deshalb eine Pilotenprüfung und verdingte sich in den 90-er Jahren als Pilot für die franzöische Fluglinie TAT. Die verpachteten Weinberge in Chambolle-Musigny bekam er nur schrittweise zurück und erst im Jahr 2004 konnte er die beinahe zehn Hektar große Monopollage Nuits-Saint-Georges Premier Cru Clos de la Maréchale in eigene Bewirtschaftung nehmen. Damit war die Basis für das gut vierzehn Hektar umfassende Weingut gelegt, welches heute einige der feinsten Rotweine Burgunds erzeugt. Der 2009er Musigny, wo Mugnier etwas mehr als einen Hektar besitzt, ist ein Ausbund von Kraft und Eleganz. Im Unterschied zu den sublimen Weinen seiner Heimatgemeinde erinnert der kompakte Nuits-Saint-Georges eher an schwarze als an rote Früchte und weist eine kräftigere Tanninstruktur auf. Für die Rotweine werden die Trauben komplett entrappt und nach einer kurzen Maischestandzeit als ganze Beeren mit natürlichen Hefen vergoren. Weil er immer weniger davon überzeugt ist, dass große Rotweine viel frisches Holz benötigen, ersetzt Frédéric Mugnier beim Ausbau maximal zwanzig Prozent der Pièces. Auf einer Fläche von 6.000 Quadratmetern hat Mugnier im Clos de la Maréchale alte Pinot-Noir-Reben mit Chardonnay überpfropft. Beim Weißwein sieht er das mit den Fässern etwas anders und erneuert deshalb jährlich etwa die Hälfte. Derzeit wird der 2009er zwar noch etwas von der Vanillenote des neuen Eichenholzes dominiert, jedoch gibt der elegante Wein schon jetzt zu den schönsten Erwartungen Anlass.

Angesichts seines früheren Reichtums und Ruhms wirkt das ehemalige Fürstentum Burgund heute ausgesprochen schlicht und ländlich. Der umfangreiche Grundbesitz der Kirche wurde zu Napoleons Zeiten aufgeteilt und das französische Erbrecht führte zu kleinsten Parzellierungen. So teilen sich heute siebzig Winzer die fünfzig Hektar umfassende Fläche des Clos de Vougeot, der mit Abstand größten Grand-Cru-Lage der Côte de Nuits. Längst nicht alle Erzeuger füllen ihren Wein dort selbst ab, sondern verkaufen ihn als Fasswein an einen der zahlreichen Weinhändler der Region. Obschon die Négociants heute längst nicht mehr die Bedeutung früherer Zeiten haben, vermarkten sie immer noch einen großen Teil der burgundischen Weine. Handelshäuser wie Bouchard Pere & Fils und Louis Latour sowie Joseph Drouhin und Louis Jadot spielen hier in der ersten Liga, was auch daran liegt, dass sie alle auch selbst viele erstklassige Weinberge besitzen.

Kenner der Weinbergslage Clos de Vougeot sind sich übrigens darin einig, dass die im oberen Teil rund um das Schloß gepflanzten Reben das beste Terroir vorfinden. Genau dort befinden sich die drei Hektar umfassenden Weinberge der in Vosne-Romanée ansässigen Domaine Méo-Camuzet, die damit zu den größten Besitzern zählt. Die Weine aus dem Clos Vougeot weisen in der Regel etwas weniger Säure auf als andere Grands Crus und können geschmacklich etwas opulent ausfallen. Um dem entgegenzuwirken erntet man bei Méo-Camuzet recht früh, entrappt die Trauben vor der Gärung, maischt sie aber nicht. Der Ausbau erfolgt über achtzehn Monate in komplett neuen Pièces.

Jean-Nicolas Méo

Es war 1989, als der damals 25jährige Jean-Nicolas Méo nach Hause kam, um den Ruf seines heute zwanzig Hektar großen Weingutes zu mehren. In jenem Jahr gab der alte Henri Jayer seine vormals gepachteten Weinberge an die Domaine Méo-Camuzet zurück und bot dem jungen Méo an ihn in den nächsten Jahren zu beraten. Voller Anerkennung bezeichnet Jean-Nicolas Méo seinen damaligen Lehrmeister als großen Weinmacher und exzellenten Beobachter der Natur: „Henri Jayer ist keinen Moden gefolgt, er hat sie selbst geschaffen!“ Er habe die kühleren Jahrgänge geliebt und versucht, die wärmeren ähnlich wie kühle zu vinifizieren. „Als er auf dem Höhepunkt seines Schaffens war, spielte der Ökologische Weinbau noch keine Rolle, heute wäre er ganz bestimmt unter den überzeugten Biodynamisten!“

Der blendend aussehende und fließend Deutsch sprechende Méo bezeichnet 2009 als hervorragenden Jahrgang mit relativ niedriger Säure. Am ehesten vergleicht auch er ihn mit 1999, obschon jener etwas mehr Säure aufwies. Er sieht auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Jahrgang 2006, den Jean-Nicolas Méo persönlich sehr mag.

Für mich ragen zwei Weine aus dem 09er Sortiment heraus: Während der Clos Vougeot im Duft an Haselnußschokolade erinnert und im Geschmack viel Saft und Fülle offenbart, zeigt sich der überaus feine Richebourg von seiner grazilen Seite. Neu im Programm ist der Grand Cru Corton-Perrières, wo Méo 2009 sechstausend Quadratmeter kaufen konnte. Im Gegensatz zum wesentlich teureren weißen Corton-Charlemagne, wo ein Quadratmeter Land inzwischen stattliche fünfhundert Euro kostet, zahlt man für Pinot-Noir-Parzellen im Corton nur etwa ein Drittel.

Mit den vergleichsweise günstigen Preisen für den Corton, dem einzigen roten Grand Cru der Côte de Beaune, dürfte es allerdings bald vorbei sein: Im Jahr 2009 hat sich dort kein geringeres Weingut als die Domaine de la Romanée-Conti mit knapp zweieinhalb Hektar Rebfläche eingedeckt. Das hat Signalwirkung! Es bedarf keiner weitschweifenden Einführungsworte, um DRC, wie die Domaine de la Romanée-Conti ebenso kurz wie respektvoll bezeichnet wird, vorzustellen. Sie ist das Maß aller Dinge in Burgund und eines der berühmtesten Weingüter der ganzen Welt. Den weinbaulichen Hintergrund für den DRC-Mythos bilden knapp dreißig Hektar Weinberge, von denen sagenhafte achtundneuzig Prozent Grand-Cru-Status haben. Das Gros der Lagen befindet sich in Vosne-Romanée: Romanée-Conti und La Tâche (beide im Alleinbesitz), etwas mehr als die Hälfte des Romanée-Saint-Vivant sowie vierzig Prozent des Richebourg. Nennenswerte Flächen besitzt DRC auch im Grands-Echezeaux und im Échezeaux, die in der Gemarkung der Nachbargemeinde Flagey-Echezaux liegen. Eine erste Parzelle im weißen Grand Cru Montrachet kam 1963 hinzu, wo die die Domaine heute insgesamt 6700 Quadratmeter besitzt.

So viel Glanz ruft nicht nur Neider auf den Plan, sondern auch veritable Verbrecher. Anfang des Jahres 2010 erhielten die beiden Gutsverwalter Aubert de Villaine und Henri Frédéric Roch gleichzeitig einen ungwöhnlichen Brief: „Zahlen Sie 1 Million Euro in bar oder ich werde die Reben von Romanée-Conti vergiften!“ Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, schrieb der Erpresser bald danach einen zweiten Brief mit einem detaillierten Weinbergsplan in dem zwei Reben eingekreist waren. Diese seien bereits vergiftet!

Nach Rücksprache mit der Polizei von Dijon gaben die Gutsverwalter vor, sich auf den Handel einzulassen. Man müsse aber erst noch eine Gesellschafterversammlung einberufen und dann das Geld besorgen. Da Aubert de Villaine am 22. Februar in den Vereinigten Staaten weilte, um den Jahrgang 2007 der Domaine vorzustellen, übernahm es Henri Frédéric Roch das mit Blüten bestückte Paket auf dem Friedhof von Chambolle-Musigny zu deponieren. Als der Erpresser das Paket dort tatsächlich abholte, wurde er an Ort und Stelle verhaftet. Die Polizei sprach von einem einschlägig in Erscheinung getretenen Mann.

Es verwundert schon, dass ausgerechnet die Domaine de La Romanée-Conti Opfer eines solchen Angriffs wurde, denn nichts deutet hier darauf hin, dass in der unscheinbaren Rue Derrière-le-Four eines der berühmtesten Weingüter der Welt beheimatet ist. Schon gar kein Prunk, wie man ihn etwa von den großen Schlösser in Bordeaux kennt. Nach außen gibt man sich sehr bescheiden und selbst die Büroräume sind an Schlichtheit kaum zu überbieten. In diesem Umfeld wirken die Initialen „RC“ auf dem roten Hoftor des Gutes schon wie eine unerhörte Werbemaßnahme. Auf touristische Besucher ist man hier ganz offensichtlich nicht eingerichtet und zu Weinproben werden ohnehin nur handverlesene Profis vorgelassen.

Bernard Noblet und Berndt Hochmann

Für die Verkostungen ist Kellermeister Bernard Noblet, Jahrgang 1957, zuständig, ein fast zwei Meter großer Hüne mit Geheimratsecken, Adlernase und warmen, braunen Augen. Er ist seit 1978 im Weingut tätig und trat dereinst die Nachfolge seines charismatischen Vaters André an. Von Noblet kann man interessante Details über die Vinifikation des Gutes erfahren: Nach einer sorgfältigen Sortierung werden die roten Trauben mit den Rappen in teilweise hundert Jahre alten großen Holzbottichen vergoren und dann in komplett neuen Pièces achtzehn Monate gelagert. Das hierfür benötigte Eichenholz lässt die Domaine vorher vier bis fünf Jahre an der frischen Luft trocknen. Im Gegensatz zu früheren Jahren, als die Weine noch Faß für Faß unfiltriert von der Feinhefe abgefüllt wurden, erfolgt seit 1995 vor der Abfüllung eine Assemblage aller Pièces der jeweiligen Lage, um eine homogene Qualität zu gewährleisten.

Seit 1999 gibt es hier einen Zweitwein, der sich aus der Ernte junger Reben der Grands-Crus-Lagen komponiert und die Bezeichnung Vosne Romanée Premier Cru Duvault-Blochet trägt, womit man dem DRC-Gründer ein Denkmal setzt. Der Ertrag von 6000 Quadratmetern aus Premiers Crus Gaudichots, Petits Monts und Malconsorts wird namenlos als Vosne-Romanée Village im Faß verkauft.

Die 2009er Weine sind über jeden Zweifel erhaben, sie zählen zum Feinsten und Besten, was hier in den letzten Jahrzehnten erzeugt wurde. Wie viele Winzer an der Côte de Nuits vergleicht auch Bernard Noblet den 09er mit dem Jahrgang 1999, eine Einschätzung, die Aubert de Villaine bei der nachfolgenden Verkostung der 2008er Flaschenweine mit einem milden Lächeln quittierte: „Bernard ist viel zu jung, um das wissen zu können, aber ich sehe große Ähnlichkeiten mit dem Jahrgang 1959!“ Das ist ein großes Wort aus dem Munde des Grandseigneurs von Romanée-Conti, der einem Reporter vor einigen Monate anvertraute, sein Neffe Bertrand bereite sich derzeit darauf vor ihn eines Tages als Nachfolger beerben. Prompt schrieb der Journalist, dass Aubert de Villaines Ruhestand unmittelbar bevorstehe. Dabei wurde der 71jährige Senior der Geschäftsleitung anlässlich der letzten Generalversammlung von den DRC-Gesellschaftern noch regelrecht bekniet, so lange wie irgend möglich im Amt zu bleiben!

Unterirdischer Keller von Domaine de la Romanée-Conti

An der Côte de Beaune genießen insbesondere die Rotweine aus Pommard, Volnay und des anmutigenden Städtchens Beaune einen vorzüglichen Ruf, jedoch sind es in erster Linie die großartigen Weißweine aus Meursault sowie Puligny- und Chassagne-Montrachet, die das weltweite Ansehen der Region begründen.

Erstabdruck in FINE Das Weinmagazin 4|2010

Fotos: Berndt Hochmann, Armin Diel