Heimat der größten Weißweine der Welt
Im zweiten Teil seiner Burgund-Erkundung widmet sich Armin Diel den großen Weinen der Côte de Beaune und den verwirrenden Verhältnissen im burgundischen Weinbau
Mit fünftausend Hektar Rebfläche repräsentiert die Côte de Beaune, zu der auch die Weinberge des anmutigen Städtchens Beaune selbst zählen, den größeren Teil der Côte d’Or. Obschon auch die Rotweine insbesondere aus Pommard, Volnay und Beaune einen vorzüglichen Ruf genießen, sind es vor allem die großartigen Weißweine aus Meursault sowie Puligny- und Chassagne-Montrachet, die das weltweite Ansehen der Region begründen.
Die drei kleinen Weinbauorte Aloxe-Corton, Ladoix-Serrigny und Pernand-Vergelesses sind die nördlichen Vorposten der Côte de Beaune. Sie beheimaten zwei eindrucksvolle Weinberge, die im Jahr 1937 als Grands Crus in die höchste Kategorie der burgundischen Hierarchie klassifiziert wurden: Zum einen den knapp einhundert Hektar umfassenden, vor allem mit Pinot-Noir-Reben bepflanzten Corton, zum anderen den gut sechzig Hektar großen, überwiegend mit Chardonnay bestockten Corton-Charlemagne.
Als einziger roter Grand Cru der Côte de Beaune ist der Corton etwa doppelt so groß wie der Clos de Vougeot, der mit fünfzig Hektar weitläufigsten Spitzenlage der Côte de Nuits. Noch etwas eindrucksvoller fallen Vergleiche beim Corton-Charlemagne aus, denn er ist allein doppelt so groß wie die übrigen fünf weißen Grands-Crus-Lagen der Côte de Beaune zusammen, die sich allesamt in Puligny- und Chassagne-Montrachet befinden.
Wie bei den Grands Crus in Burgund üblich, tragen auch Corton- und Corton-Charlemagne-Weine keine Ortsbezeichnung auf dem Etikett, sondern nur den Lagennamen. Im Gegensatz zum Corton-Charlemagne gilt für den roten Corton die in Burgund einmalige Ausnahmeregelung, dass auch genauere Parzellenbezeichnungen wie beispielsweise Corton-Bressandes oder Corton-Renardes möglich sind.
Der Corton-Charlemagne befindet sich auf den oberen Hängen des Berges, die an den Bois de Corton angrenzen. Dort bietet kieselhaltiger Kalksteinboden ideale Voraussetzungen für die Erzeugung charaktervoller, geradezu aristokratischer Weißweine, die sich stilistisch vollkommen von den geschmeidigeren Chardonnays aus Meursault und Puligny-Montrachet unterscheiden. Mit schöner Regelmäßigkeit begeistert mich der Corton-Charlemagne der Domaine Bonneau du Martray in Pernand-Vergelesses, insbesondere seitdem Jean-Charles le Bault de la Morinière die Leitung des Weinguts im Jahr 1994 übernommen hat. Ebenfalls exquisite Charlemagnes findet man häufig bei Coche-Dury, Faiveley und Louis Jadot.
Da sich die steilen Corton-Weinberge in unterschiedliche Himmelsrichtungen erstrecken, hat die Exposition des Weinbergs einen enormen Einfluss auf das Mikroklima und damit auf den Charakter des jeweiligen Weins. Die südöstlich in Richtung Ladoix geneigten Rebhänge erhalten zwar die pralle Morgensonne, jedoch ist es dort am späten Nachmittag schon recht kühl. Während es in den nach Aloxe-Corton abfallenden Südhängen praktisch den ganzen Tag über sonnig und warm ist, bekommen die am Vormittag recht schattigen Weinberge von Pernand-Vergelesses immerhin noch einiges von der Nachmittagssonne ab. In diesen nordwestlich orientierten Lagen erreichen die Trauben deutlich später ihre Vollreife und erbringen in der Regel weniger gehaltvolle Weine als in besser exponierten Corton-Parzellen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Bodenverhältnisse in einer solch großen Weinbergslage wie dem Corton recht stark unterscheiden. Während oben Kalkstein dominiert, der für ausgesprochen mineralische Weine sorgt, gedeihen am Hangfuß auf eisenhaltigen Lehmböden eher kräftige Weine mit saftigem Körper.
Von einer einheitlichen Corton-Stilistik kann aber schon deshalb kaum die Rede sein, weil sich der Weinbergsbesitz auf mehr als zweihundert Erzeuger verteilt, von denen jeder seinen eigenen Vorstellungen beim Ausbau der Weine folgt. Nur zwei Dutzend der Anrainer sind in Aloxe-Corton selbst ansässig; es fällt aber auf, dass viele große Handelshäuser über nennenswerten Besitz in Corton und Corton-Charlemagne verfügen. Allein Louis Latour gehören dort siebenundzwanzig Hektar und damit fünfzehn Prozent der Gesamtfläche. Qualitativ überzeugen mich in den letzten Jahren vor allem die roten Cortons von Chandon de Briailles, Louis Jadot, Leroy, de Montille, Pousse d’Or und Senard.
Im Vergleich zu den Spitzenlagen der Côte de Nuits galt der Corton lange als schlafender Riese, was man auch an den Preisen für Grund und Boden ablesen konnte. Bis vor wenigen Jahren lag der Hektarpreis im Corton gerade einmal bei einem Drittel dessen, was für den weißen Corton-Charlemagne bezahlt wurde. Damit dürfte es nun allerdings vorbei sein, da sich jüngst berühmte Weingüter wie die Domaine de la Romanée-Conti und die Domaine Méo-Camuzet im Corton kräftig mit Rebflächen eingedeckt haben.
Dijon ist zwar die offizielle Hauptstadt der Region, das vinophile Herz der Bourgogne aber schlägt in Beaune. Die gut zwanzigtausend Einwohner zählende Stadt bietet neben dem Hospice de Beaune eine Vielzahl historischer Gebäude, zahlreiche Galerien und Weingeschäfte sowie eine Reihe sehr guter Hotels und Restaurants. Und, am Samstag, einen wunderschönen Bauernmarkt rund um das Hospiz.
Drei Viertel der gut vierhundert Hektar umfassenden Rebfläche von Beaune sind als Premiers Crus klassifiziert, die sich auf zweiundvierzig verschiedene Lagen verteilen. Das verbleibende Viertel ist Appellation Beaune Village. Ebenso wenig wie in Pommard, Volnay und Meursault hat das angesehene Nationale Institut für die Herkunftsbezeichnungen im Weinbau (I.N.A.O.) bislang auch in Beaune keine Lage für würdig befunden, sie als Grand Cru einzustufen. Falls es eines Tages zu einer Neuklassifizierung kommen sollte, hätte vielleicht am ehesten einer der im nordöstlichen Teil der Gemarkung gelegenen Premiers Crus wie Bressandes, Grèves oder Marconnets Aussichten auf den Ritterschlag. Ganz so, wie man erst vor einigen Jahren den Clos des Lambrays in Morey-Saint-Denis und La Grande Rue in Vosne-Romanée in den Adelsstand erhoben hat.
In Beaune sind einige der wichtigsten burgundischen Weinhandelshäuser zuhause. Diese altrenommierten „Maisons“ besitzen zwar auch große, oft über die gesamte Côte d’Or verstreute Weinbergsflächen, jedoch generieren sie das Gros ihres Geschäfts durch Zukauf von Trauben, gekelterten Mosten oder füllfertigen Weinen, die sie ausbauen, auf die Flasche ziehen und schließlich weltweit vermarkten.
Ende des 19. Jahrhunderts erfuhren die damals schon mächtigen Maisons einen zusätzlichen Schub. Geschwächt durch die grassierende Reblauskrankheit, die weite Teile der burgundischen Rebfläche zerstörte, zerstückelt durch die napoleonische Realteilung bei der Erbschaft, waren viele kleine Winzer nicht mehr in der Lage, ihre Weine selbst auszubauen und zu vermarkten. Dafür hatten sie weder die entsprechende Ausbildung noch das nötige Geld. Sie beschränkten sich auf die Weinbergsarbeit und waren froh, dass die Händler ihnen die Trauben abkauften.
Diese symbiotische Zusammenarbeit kam erst nach dem zweiten Weltkrieg ins Wanken, als namhafte Weinhändler beim Panschen erwischt wurden. Das skrupellose Handeln einiger schwarzer Schafe warf einen dunklen Schatten auf die gesamte Zunft und führte dazu, dass immer mehr Winzer ihre Weine selbst ausbauten und verkauften, um sich auf diese Weise ein größeres Stück vom Kuchen zu sichern. Deren Erfolg wurde durch die in den 1980-er Jahren aufkeimende Weinkritik beflügelt, die ausführlich über die Winzer und ihre Weine berichtete und dazu beitrug, dass vormals gänzlich unbekannte Erzeuger zu regelrechten Stars aufsteigen konnten: Henri Jayer war eines der prominentesten Beispiele jener Zeit.
Nachdem sich die Gesellschafter der weit verzweigten Besitzerfamilie Bouchard über die strategische Ausrichtung ihres Geschäfts nicht mehr einig waren, kam das Haus Bouchard Père & Fils im Jahr 1995 in den Besitz des Champagnermagnaten Joseph Henriot. Schon damals verfügte Bouchard über einen prächtigen Weinbergsbesitz in den besten Lagen der Côte d’Or, der durch weitere Zukäufe mittlerweile auf stolze einhundertdreißig Hektar angewachsen ist. Damit ist Bouchard bei weitem größter Weinbergsbesitzer in ganz Burgund! Obwohl auch die Rotweine in den letzten Jahren wieder deutlich an Qualität zugelegt haben, überzeugen mich die Weißweine meist noch ein wenig mehr. Die Trauben werden im Ganzen in pneumatischen Pressen gekeltert; die alkoholische Gäring beginnt zunächst in Edelstahltanks. Nachdem etwa die Hälfte des Zuckers umgewandelt ist, werden die Jungweine in zweihundertachtundzwanzig Liter fassende Eichenholzfässer (Pièces) umgelagert, um dort ihre Gärung zu vollenden. Weil er die Frucht des Weins nicht durch zu viel Eichenholz übertönen will, erneuert Kellermeister Philippe Prost nur etwa zwanzig Prozent der Pièces. Von dem in Mode gekommenen Aufrühren der Hefe mit einem Stab aus Edelstahl, wovon sich viele Winzer opulentere Weine versprechen, hält Prost nur wenig. Er befürchtet, dass der Jungwein bei dieser Prozedur zu sehr mit Sauerstoff in Berührung kommt und dadurch an Frische verliert. Stattdessen bevorzugt er ein System, bei dem die Pièces gerollt werden und so die Hefe schonender verteilt wird.
Eine feste Größe in Beaune ist auch das Haus Louis Jadot, das im Jahr 2009 sein einhundertfünfzigjähriges Bestehen feierte. Inhaber Pierre-Henry Gagey und sein ebenso langjähriger wie charismatischer Kellermeister Jacques Lardière haben in den vergangenen Jahrzehnten einen Hausstil entwickelt, der sich aufgrund langer Gärzeiten und hoher Gärtemperaturen in tieffarbigen und tanninbetonten Weinen zeigt. Kaum jemand in Burgund arbeitet dabei die Unterschiede der einzelnen Weinberge einfühlsamer heraus als die beiden.
Nach dem Rückkauf der zuvor einmal an einen japanischen Investor veräußerten Anteile zählt das 1756 gegründete Haus Joseph Drouhin wieder zu den wenigen Kellereien in Burgund, die sich im ursprünglichen Familienbesitz befinden. Viele Jahre waren die Drouhin-Weine vor allem für ihre Eleganz geschätzt. Unter der Ägide des jungen Kellermeisters Jérome Faure-Brac haben die Weine wieder deutlich an Substanz gewonnen.
Zu guter Letzt zählt auch Louis Latour zu den altrenommierten Maisons in Beaune. Unter der Führung von Louis Fabrice Latour macht es in den letzten Jahren wieder qualitative Fortschritte. Insbesondere beeindrucken mich die roten Corton-Weine von Château Grancey, aber auch der weiße Corton-Charlemagne.
Südlich von Beaune schließen sich mit Pommard und Volnay zwei ausgesprochene Rotwein-Gemeinden an. Gut ein Drittel der mehr als dreihundert Hektar umfassenden Weinberge von Pommard sind als Premiers Crus klassifiziert, die sich auf achtundzwanzig Lagen verteilen. Davon gelten Pommard-Rugiens und Pommard-Epenots als Primi inter pares. Diese Weinberge bringen deutlich feinere Weine hervor als ein gewöhnlicher Pommard, der mitunter etwas schwer und eindimensional ausfallen kann. Mein bevorzugter Winzer ist Jean-Marc Boillot, dessen Stärke allerdings die Weißweine aus Meursault und Puligny-Montrachet bilden.
In Volnay ist sogar etwas mehr als die Hälfte der zweihundert Hektar umfassenden Weinbergsfläche als Premier Cru eingeteilt, die sich auf sechsunddreißig Lagen verteilen. Weil dies im Durchschnitt einer Größe von nur etwa drei Hektar pro Lage entspricht, erlaubt die I.N.A.O. seit einigen Jahren sogar, dass Weine aus kleineren Lagen unter dem Namen einer bekannteren Nachbarlage verkauft werden dürfen. So etwas nennt man Pragmatisme à la française und trägt auch nicht gerade zum besseren Verständnis der komplizierten burgundischen Verhältnisse bei! Im Unterschied zu den etwas zur Rustikalität neigenden Weinen aus Pommard steht Volnay für einen weitaus eleganteren Stil, den man als Chambolle-Musigny der Côte de Beaune bezeichnen könnte. Die verlässlichsten Erzeuger in Volnay sind Marquis d’Angerville, Pousse d’Or und Etienne de Montille.
Mit etwas mehr als vierhundert Hektar Rebfläche ist Meursault die wichtigste Weißweingemeinde an der Côte de Beaune. Etliche Jahre war der typische Meursault-Stil von üppigen, geradezu fetten Weinen eines Bernard Michelot geprägt, durch dessen Schule eine ganze Generation von jungen Winzern gegangen war. In ihren besten Exemplaren dufteten diese Weine nach Haselnuss und Butter und entfalteten auf der Zunge eine zartsüße Fruchtfülle. Ein Weinstil, der mit großem Erfolg auch in Kalifornien und Australien kopiert wurde.
Die intelligenten Weinmacher der Côte de Beaune haben aber längst begriffen, dass sie den Kampf gegen holzlastige Power-Weine aus der Neuen Welt nicht mit noch fetteren Weinen, sondern viel eher mit feinfruchtigen, finessereichen Gewächsen gewinnen können. Stilistisch könnte man von einem Schwenk vom opulenten Meursault zum eleganteren Puligny-Montrachet sprechen, käme mit Dominique Lafon nicht ausgerechnet einer der profiliertesten Vertreter dieser neuen eleganten Linie aus Meursault. Im Fokus der Reformer standen Weine mit glasklarer Frucht, mineralischer Säure und feinwürzigem Nachhall. Neben Lafon war vor allem die Domaine Leflaive in Puligny-Montrachet wichtigster Protagonist dieses neuen Chardonnay-Stils in Burgund. Beide verbindet, dass sie ihre Weinproduktion auf biodynamische Wirtschaftsweise umgestellt haben, was in der Region für reichlich Gesprächsstoff sorgte: Während einige Erzeuger ehrfurchtsvoll die Lehren Rudolf Steiners umsetzten, lästerten andere über den vermeintlichen Blödsinn, den Rebschnitt oder das Abfüllen der Weine vom Stand des Mondes abhängig zu machen. Doch bröckelte die Ablehnungsfront zusehends: Mancher Winzer, der seine ambitionierten Kollegen lange als Spinner zu desavouieren suchte, hatte sich selbst klammheimlich auf den vorher lauthals kritisierten Weg gemacht.
Der im sprichwörtlichen Sinne aristokratischste Betrieb in Meursault ist die Domaine des Comtes Lafon, in der eben jener Dominique Lafon über Jahrzehnte hinweg von einem Erfolg zum nächsten eilte. Das war umso bemerkenswerter, als er die Domaine Anfang der 1980-er Jahre in einem eher beklagenswerten Zustand vorfand. Im Keller bestand ein enormer Investitionsbedarf, und die Weinberge waren teilweise sogar verpachtet. Nach Ablauf der Verträge erneuerte Lafon sie nicht und brachte die Weinberge Stück für Stück in die eigene Bewirtschaftung zurück. Inspiriert durch Kollegen wie Anne-Claude Leflaive und Noël Pinguet aus dem Loiretal stellte Lafon den Betrieb 1995 auf biodynamische Landpflege um.
Dominique Lafon vergärt seine Weißweine ausschließlich mit Naturhefen und lässt sie etwa achtzehn Monate in den Pièces, die entsprechend der individuellen Struktur des jeweiligen Weins in unterschiedlichem Umfang erneuert werden. Während der Grand Cru Montrachet nach wie vor in komplett neuen Fässern ausgebaut wird, variiert der Anteil bei den Premiers Crus zwischen fünfundzwanzig und sechzig Prozent. Hingegen sehen Ortsweine hier überhaupt kein neues Holz. Durch das lange Lager auf der Feinhefe entwickeln die Lafon-Weine eine Saftigkeit und Komplexität, die sie schon bald nach der Abfüllung recht zugänglich erscheinen lassen. Dennoch verfügen sie über ein beträchtliches Reifepotential.
Die zweiundzwanzig Hektar umfassende Domaine Jacques Prieur befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Domaine des Comtes Lafon und genießt insoweit einen besonderen Status, als sie neben prächtigem Weinbergsbesitz in Puligny-Montrachet, Beaune und Meursault auch an der Côte de Nuits in fünf Grands-Crus-Lagen begütert ist. Auch wenn mancher Kritiker gelegentlich über zu große Opulenz und etwas übertriebenen Holzeinsatz mäkelt, zählen die dort erzeugten Rotweine für mich oft zu den besten der jeweiligen Appellation. Seitdem sich die im Beaujolais ansässige Familie Labruyère, der übrigens auch Château Rouget in Pomerol gehört, einen Zweidrittelanteil an Jacques Prieur gesichert hat, wird auch wieder Geld in die historischen Gebäude investiert. Gemeinsam mit der seit 1990 hier tätigen Oenologin Nadine Gublin leitet Martin Prieur das Gut mit Fortune. Glanzstücke der Weißwein-Kollektion sind alljährlich der Grand Cru Montrachet sowie die beiden Premiers Crus Meursault Pierres und Puligny-Montrachet Combettes.
Zu den führenden Meursault-Erzeugern zählen weiterhin Pierre Morey, der von 1988 bis 2008 auch Verwalter der Domaine Leflaive in Puligny-Montrachet war, Jean-Marc Roulot, der nach dem Tod seines Vater Guy den Beruf als Schauspieler mit dem des Winzers verbindet, und natürlich Jean-François Coche. Letzterer gilt als der talentierteste Kellermeister, der den Weinbergen von Meursault besonders feine Weine zu entlocken vermag, obwohl er nur wenig Besitz in Premiers-Crus-Lagen hat. Die hoch mineralischen und zugleich dichten Weine der Domaine Coche-Dury genießen heute absoluten Kultstatus. Man darf zuversichtlich sein, dass sich daran nur wenig ändern wird, wenn Sohn Raphael, der bereits seit 2001 mit dem Vater zusammenarbeitet, das Gut in absehbarer Zeit übernehmen wird.
In der Premier-Cru-Lage Meursault Santenots, wo neben Chardonnay auch Pinot Noir angepflanzt wird, kann man übrigens ein weiteres Lehrstück burgundischer Verwirrungstaktik bewundern. Während der Weißwein logischerweise als Meursault angeboten wird, müssen die Winzer ihren Rotwein jedoch als Volnay Santenots verkaufen!
Wie in allen anderen Weinbauorten der Côte d’Or, in deren Gemarkungen 1937 Grands-Crus-Flächen ausgewiesen wurden, fügte man bald danach auch in Puligny und Chassagne dem Ortsnamen den Namen der berühmtesten Weinbergslage, in diesem Fall den des Montrachet, hinzu. In der Geschichte Burgunds ist es allerdings ohne Beispiel, dass sich gleich zwei Gemeinden mit ein und demselben Grand Cru schmücken. Der lokalpolitische Kampf um den teuersten Weißweinberg der Welt ging sogar so weit, dass sich die Gemeinden Puligny und Chassagne am Ende nur so auf eine einvernehmliche Lösung einigen konnten, indem sie den acht Hektar großen Montrachet haargenau bis auf den letzten Quadratmeter untereinander aufteilten.
In der Welt der großen Weine gibt es keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Domaine Leflaive in Puligny-Montrachet qualitativ die burgundische Nummer Eins in Sachen Weißwein ist. Zwar besitzt das Gut nur etwas mehr als achthundert Quadratmeter Rebfläche im Montrachet, die jährlich gerade einmal vierhundert Flaschen erbringen, jedoch ist man mit mehr als vier Hektar bestens in den übrigen Grand-Cru-Lagen des Ortes vertreten: Bâtard-Montrachet, Chevalier-Montrachet und Bienvenues-Bâtard-Montrachet. Daneben bilden zehn Hektar in fünf prachtvollen Premiers-Crus-Lagen das Herzstück der Produktion. Alle Weine des Gutes sind von strahlender Eleganz und zeigen große Finesse. Ab Mitte der 1980-er Jahre wurde die Domaine Leflaive von Vincent Leflaive und seinem Neffen Olivier geleitet. Drei Jahre bevor Vincent 1993 starb, benannte er seine Tochter Anne-Claude als seine Nachfolgerin, die das Gut dann vier Jahre lang gemeinsam mit Olivier Leflaive führte. Bereits 1984 hatte dieser unter seinem Namen ein Handelshaus in Puligny-Montrachet gegründet, was letztlich zum Zerwürfnis zwischen Cousin und Cousine führte. Seit 1994 wird das fünfundzwanzig Hektar große Gut von Anne-Claude Leflaive allein geleitet und seit 1997 biodynamisch bewirtschaftet. Nachfolger von Pierre Morey als Gutsverwalter wurde 2008 der vorher als Kellermeister amtierende Eric Rémy.
Obwohl die Qualität der Weine in den ersten Jahren einiges zu wünschen übrig ließ, nahm die Maison Olivier Leflaive, die Olivier gemeinsam mit seinem Bruder Patrick und seinem Onkel Vincent ins Leben gerufen hatte, eine explosionsartige Entwicklung: Heute werden pro Jahr achthunderttausend Flaschen verkauft! Der Schwerpunkt der Erzeugung lag von Anfang an bei Weißweinen, die dem seit mehr als zwanzig Jahren hier tätigen Kellermeister Frank Grux immer besser gelingen. Die 2009-er Weine stellen qualitativ alles in den Schatten, was ich hier je verkostet habe. Die Grands Crus aus dem Bâtard-Montrachet und Bienvenue-Bâtard-Montrachet stehen den Weinen der Domaine Leflaive in diesem Jahr kaum nach.
Vor einigen Jahren hat Olivier Leflaive an der Place du Monument in Puligny-Montrachet ein altes Stadtpalais völlig entkernt und dort ein kleines Hotel mit sehr schicken Zimmern etabliert. In der geschmackvoll eingerichteten Weinstube „La Table d’Olivier Leflaive“ kann man im Erdgeschoss die Weine des Hausherrn verkosten und sich mit herzhaften Gerichten für den nächsten Winzerbesuch stärken.
Etwa bei Gérard Boudot in der renommierten Domaine Etienne Sauzet, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Montrachet und die übrigen Grands-Crus-Lagen von Puligny-Montrachet hat. Boudot kam 1974 hierher und heiratete Jeannine Boillot, die Enkelin von Etienne Sauzet. Seitdem leiten sie das Weingut gemeinsam. Nach einer von Jeannines Mutter im Jahr 1989 verfügten Erbteilung verlor die Domaine Sauzet große Teile des ursprünglichen Weinbergareals an Jeannines Brüder Jean-Marc und Henri Boillot, die eigene Weingüter in Pommard und Volnay betreiben. Um die Flächenverluste einigermaßen kompensieren zu können, begann Gérard Boudot mit dem Zukauf von Trauben und Fasswein – und das kann ein extrem teures Vergnügen sein. Für ein Pièce Grand Cru Montrachet musste er 2009 gewaltige vierundzwanzigtausend Euro bezahlen, was einem Literpreis von etwas mehr als hundert Euro entspricht. Daneben machen sich die für ein Fässchen Puligny-Montrachet Premier Cru fälligen viertausend Euro geradezu wie ein Schnäppchen aus. Wenn auch diese Zukäufe selten mehr als zwanzig Prozent der eigenen Erzeugung ausmachten, verzichtete Boudot von Anfang an auf die Verwendung der werbewirksameren Bezeichnung Domaine und verkauft selbst die Gutsweine unter Maison Etienne Sauzet. All das hat gottlob nichts an Stil und Qualität der Weine verändert, die über die Jahre hinweg stets zu meinen Lieblingsweinen in Puligny-Montrachet zählen. Archetypische Beispiele hierfür sind der saftige, mit einer enormen Frucht ausgestatte Premier Cru aus der Lage Combettes sowie der im Duft häufig an Williams-Christ-Birne und Brioche erinnernde Grand Cru Bâtard-Montrachet, dessen konzentrierte Frucht im Mund sehr lange nachklingt.
Die schmerzlichen Auswirkungen der französischen Realteilung erleben auch die Brüder Jacques und François Carillon, die nach mehr als zwanzigjähriger Zusammenarbeit die zwölf Hektar umfassende Domaine Louis Carillon & Fils nun mit dem Jahrgang 2010 unter sich aufteilen. Dem Vernehmen nach sollen die Ehefrauen dazu getrieben haben. Das ist umso bedauerlicher, als dieses Weingut über die beiden letzten Jahrzehnte hinweg eine der verlässlichsten Quellen für klassische Puligny-Montrachets war, von denen ich meist die Weine aus den Premiers-Crus-Lagen Perrières und Referts bevorzugte. Gespannt darf man sein, wer demnächst die besseren Weine auf die Flasche bringen wird – der bisherige Kellermeister Jacques oder der Weinbergsspezialist François Carillon –, wenn beide sich in ihren Weingütern nun um alle anfallenden Arbeiten selbst zu kümmern haben. Immerhin ist der acht Jahre ältere Jacques Carillon glücklich darüber, dass er nicht auch noch die tausend Quadratmeter kleine Parzelle im Grand Cru Bienvenues-Bâtard-Montrachet mit seinem Bruder teilen musste, deren Ertrag selten mehr als zwei Pièces füllte.
Erstabdruck in FINE Das Weinmagazin I/2011
Fotos: Berndt Hochmann, Armin Diel