Kulinarische Spitzenklasse!
Als der Achtzehnjährige Claus-Peter Lumpp im Jahr 1982 nach Baiersbronn kam, um im damaligen Kurhotel Mitteltal der Familie Bareiss seine Kochausbildung zu starten, war kaum vorhersehbar, dass der geborene Tübinger dereinst zu den wenigen deutschen Küchenchefs mit drei Michelin-Sternen zählen sollte. Sein Lehrmeister war Paul Mertschuweit, ein alter Haudegen der klassischen Küche, der mehr als 30 Jahre als Küchendirektor in Mitteltal tätig war.
Nach Abschluss seiner Lehre absolvierte Claus-Peter Lumpp den Militärdienst und ging im Jahr 1986 auf Wanderschaft durch einige der besten Küchen des Landes: Zu Günter Scherrer nach Düsseldorf und anschließend nach München zu Heinz Winkler und dann zu Eckart Witzigmann.
Aus der Ferne verfolgte Lumpp aufmerksam die Entwicklung des 1982 eröffneten Restaurants Bareiss, in dem sich der damalige Küchenchef Manfred Schwarz binnen weniger Jahre zwei Michelin-Sterne erkochte und diese bis zu seinem Weggang im Jahr 1989 behielt. Dessen Nachfolger Karlheinz Schuhmair bewahrte den Status Quo zwar drei Jahre, jedoch betrachtete Patron Hermann Bareiss ihn eher als Mann des Übergangs. Zumal Claus-Peter Lumpp, der in der Zwischenzeit als Küchenchef der Kaminstube in das Hotel Bareiss zurückgekehrt war, seinem Chef anvertraute, dass er sich die Schuhmair-Nachfolge durchaus zutraue. Um ihn für diese Aufgabe zu rüsten, schickte Bareiss den jungen Claus Peter Lumpp zu einigen Größen der internationalen Kochszene: Zu Horst Petermann und André Jaeger, beide in der Schweiz, zu Alain Ducasse nach Monte-Carlo und zu Enzio Santin nach Mailand. Im Frühjahr 1992 übernahm Lumpp dann die Küchenleitung im Restaurant Bareiss.
Bald entwickelte sich das Gourmet-Restaurant des Hauses zu einer der besten Adressen des Landes und Lumpp konnte sich durchweg über hervorragende Kritiken der professionellen Vorkoster freuen. Allein die wiederholten und teilweise ans Boshafte grenzenden Sticheleien im Restaurant-Guide Gault Millau ärgerten den sensiblen Küchenchef. Unbeirrt von solchen Querschüssen verteidigte er fünfzehn Jahre lang seine beiden Michelin-Sterne. Im November 2007 erfolgte dann der Ritterschlag, als Claus-Peter Lumpp der dritte Stern zuerkannt wurde. Seitdem zählt er zu der Elite der Spitzenköche des Landes, die sich über die höchste Auszeichnung des Guide Michelin freuen darf.
Ich kenne das Restaurant Bareiss seit dem Eröffnungstag im Jahr 1982 und war dort in unregelmäßigen Abständen alle paar Jahre zu Gast, zuletzt im Anfang Oktober 2019. Neugierig gemacht hatte mich der Kommentar eines Hamburger Freundes, der sich in den vergangenen zwei Jahren durch alle Drei-Sterne-Restaurants des Landes gefuttert hatte. Auf meine Frage, wo es ihm denn am besten gemundet habe, antwortete er ohne eine Sekunde zu zögern: „Bei Claus-Peter Lumpp!“ Ihn betrachtet er als einen der letzten Lordsiegelbewahrer der klassischen französischen Küche in Deutschland.
Seit vierundzwanzig Jahren steht das elegant ausgestattete Restaurant Bareiss unter der souveränen Ägide von Maître Thomas Brandt, der nach einem dreijährigen Intermezzo bei Vincent Klink in Stuttgart 1995 nach Mitteltal zurückgekehrt ist. Seit dem Weggang des langjährigen Sommeliers Jürgen Fendt, der sich fortan intensiver um seine Weinberge im Badischen und an der Mosel kümmern wollte, steht Brandt nun Teoman Mezda als Weinfachmann zur Seite. In dieser Funktion war Mezda vorher einige Jahre unter Chef-Sommelier Stefan Gass in der Schwarzwaldstube der Traube Tonbach und anschließend im seinerzeitigen Gourmet-Restaurant von Brenners Parkhotel in Baden-Baden tätig. Der neue Sommelier wird gewiss einige Zeit benötigen, um den teilweise mit Fendts Lieblingsweinen gefüllten Keller etwas zu modernisieren. Insgesamt kümmern sich im Service des Restaurants Bareiss sechs Damen und Herren um das Wohl der Gäste.
Nach dem obligaten Amuse Bouche, in diesem Fall eine Variation von Waldpilzen mit Pastinakencrème und einer feinwürzigen Essenz, genossen wir eine fabelhafte Variation von der Gänseleber mit Fragolino-Trauben und Mascarpone (19 Punkte), wozu superluftiges Brioche mit zartknuspriger Kruste gereicht wurde. Nicht minder delikat präsentierten sich die sautierten Jakobsmuscheln mit Safran, Blumenkohl und einer leckeren Sauce Rouille (19 Punkte).
Darauf folgten zwei wunderbare Fischgerichte: Zum einen der perfekt in Leindotteröl gegarte Kabeljau mit Beluga Linsen, Ur-Karotte und gehaltvoller Nussbutter (18,5 Punkte).
Zum anderen der kross gebratene Wolfsbarsch mit Rotweinschalotten, Crèmespinat und einer geschmacksintensiven süß-säuerlichen Sauce (19 Punkte).
Einen echten Hauptgang stellte das Mieral-Schwarzfederhuhn dar. Die gebratene Brust wurde von Butternusskürbis und gerösteten Kürbiskernen sowie einer leckeren Geflügelglace begleitet; das geschmorte Ragoût von der Keule von Kürbisrisotto und Garam Marsala (18,5 Punkte). Übertroffen wurde dieses wohlschmeckende Gericht (an einem anderen Tag) aber noch durch die Brust und Keule vom Rebhuhn mit glacierten Maronen, Ofensellerie und atemberaubend guter Tonkabohnenglace (19,5 Punkte).
Zu unserem Bedauern war die Nahrungsaufnahme damit abgeschlossen; Käse, Dessert und all den süßen Verlockungen rund um Kaffee und Tee werden wir uns beim nächsten Mahl umso freudvoller widmen.
Als Resümée lässt sich festhalten: Das Restaurant Bareiss zählt zu Recht zur Elite der deutschen Kochkunst und gereicht dem vielleicht vorzüglichsten Ferienhotel des Landes zur absoluten Zierde. In der Leitung des Hauses erfährt Hermann Bareiss, der Doyen der deutschen Spitzenhotellerie, seit zehn Jahren höchst willkommene Unterstützung durch seinen Sohn Hannes, der auch als Nachfolger auserkoren ist. Er ist inzwischen verheiratet und Vater von zwei Töchtern.
Neben dem weitläufigen Hotelgästebereich zählen das großartige Restaurant Bareiss, die formidable Kaminstube und die zauberhaften Dorfstuben zum gastronomischen Imperium der Familie Bareiss. Außerhalb des Hotels betreibt sie außerdem drei Dependancen: Zum einen den liebevoll restaurierten Morlokhof, der bei speziellen Veranstaltungen vom Stammhaus beschickt wird; zum anderen den vor wenigen Jahren überaus geschmackvoll ausgebauten Forellenhof Buhlbach, wo auch eine hauseigene Fischzucht betrieben wird. Zu guter Letzt die urige Wanderhütte Sattelei, die sich in siebenhundertsechs Meter Höhe auf einem Bergrücken oberhalb des Hotels befindet. In unterschiedlichen Kategorien runden diese drei Lokalitäten das kulinarische Angebot des Hotels Bareiss auf vorzügliche Weise ab.
Buchtipp:
Nahaufnahmen von Claus Peter Lumpp mit Vorworten von Eckart Witzigmann, Alain Ducasse und Hermann Bareiss. Ein prachtvoller Bildband von 256 Seiten mit Zitaten bekannter Restaurantkritiker, ohne Rezepte. Titel in Goldprägung.
Im Doppelpack erschienen ist auch ein nicht ganz so dicker, aber ähnlich prachtvoller Bildband von Stefan Leitner, dem langjährigen Chef-Pâtissier des Hauses. Diesmal mit ausführlichen Rezepten und Vorworten von Claus-Peter Lumpp und Thomas Dorfer. Titel in Silberprägung.
ISBN 978-3-00-036149-4, Paketpreis 142 Euro, signierte und nummerierte Auflage 3.000 Stück.
Hintergrund: Der Restaurant-Führer Guide Michelin
Der Guide Michelin ist als Restaurantführer eine französische Institution, er erschien erstmals im Jahr 1900. Gestaltet von der Touristikabteilung des Reifenherstellers Michelin war er ursprünglich als ein Werkstatt-Wegweiser für die weniger als 3.000 Autofahrer gedacht, die es damals in Frankreich gab. Die Initiatoren André und Édouard Michelin stießen in eine Marktlücke und gaben unter anderem Tipps zum Umgang mit dem Auto und den Reifen sowie die Namen von Werkstätten, Batterieladestationen und Benzindepots. Im Jahr 1926 vergab der Guide Michelin erstmals einzelne Sterne für Restaurants , ab 1931 für besonders herausragende Küchenleistungen dann auch zwei und drei Sterne. Unangefochtener Rekordhalter wurde später das Restaurant L’Auberge du Pont de Collonges von Paul Bocuse in Collonges au Mont d’Or bei Lyon, das von 1965 bis heute jedes Jahr drei Michelin-Sterne erhielt.
Die erste Deutschland-Ausgabe des Michelin erschien im Jahr 1966. Von der in den 1980er Jahren beginnenden Entwicklung, die später als „Deutsches Küchenwunder“ apostrophiert wurde, war man also noch ein ganzes Stück entfernt. Neben dem Guide Michelin gab es damals lediglich den Varta-Führer, der freilich nie die Bedeutung des deutschen Michelin-Ablegers erlangte. Nur ältere Zeitgenossen werden sich daran erinnern, dass der Erbprinz in Ettlingen und Henry Levys Maître in Berlin zu den ersten deutschen Restaurants mit zwei Sternen zählten und Herbert Schönberner im Goldenen Pflug in Köln 1982 als erster deutscher Küchenchef sogar mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Erster Drei-Sterne-Koch in Deutschland war allerdings der Österreicher Eckart Witzigmann, der diese Auszeichnung 1980 in seinem Münchener Restaurant Aubergine erhielt.
In der Ausgabe 2019 sind zehn Küchenchefs mit drei Sternen, vierzig weitere mit zwei Sternen und mehr als zweihundertvierzig Köche mit einem Stern verzeichnet. Laut Michelin symbolisiert ein Stern eine Küche voller Finesse, die einen Stopp wert ist. Zwei Sterne stehen für eine Spitzenküche, die einen Umweg verdient und drei Sterne versprechen eine einzigartige Küche, die gar eine Reise lohnt.
Das einzige deutsche Restaurant, das seit der Erstausgabe bis zum heutigen Tag ohne Unterbrechung mit einem Stern im deutschen Michelin figuriert, befindet sich im Hotel Adler in Häusern im südlichen Schwarzwald.